Ohne Prozesse keine Digitalisierung: Die digitale Transformation braucht organisatorische Voraussetzungen!

igenda FACHMAGAZIN
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16.12.2016

Wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft im deutschsprachigen Raum wird auch im Franchising immer mehr über die Digitalisierung gesprochen und geschrieben. Schlagworte, die dabei fallen, sind etwa Business 4.0, Industrie 4.0, Dienstleistungen 4.0, Personal 4.0, Arbeit 4.0 etc. Diese Begriffe werden von vielen Unternehmen, Beratern, Politikern und anderen Personen für alle möglichen Anwendungen und Technologien genutzt, die in Verbindung mit der digitalen Transformation (d.h. der Digitalisierung) stehen. Im Folgenden wird nur der Begriff „Business 4.0“ stellvertretend für alle o.a. Begriffe verwendet.

Doch was ist unter „Digitalisierung“ zu verstehen?

Ein Blick in Wikipedia gibt Auskunft: „Der Begriff Digitalisierung bezeichnet die Überführung analoger Größen in diskrete (abgestufte) Werte, zu dem Zweck, sie elektronisch zu speichern oder zu verarbeiten. … Im weiteren Sinne wird mit dem Begriff auch der Wandel hin zu elektronisch gestützten Prozessen mittels Informations- und Kommunikationstechnik bezeichnet.“

Wenn man diesen Ansatz zu Ende denkt und auf Franchisesysteme bezieht, lautet die Grundsatzfrage der Digitalisierung damit: „Wie wollen wir Franchisesysteme in Zukunft unsere Geschäfte machen?“

Business 4.0 ist revolutionär

Das Besondere daran ist aber nicht die Digitalisierung von Prozessen alleine, sondern vor allem die Möglichkeiten der Vernetzung technischer Systeme in Echtzeit. Dadurch werden neue Geschäftsmodelle und partnerschaftliche, firmenübergreifende Vernetzungen von Unternehmen aller Art entstehen und den Wettbewerb nachhaltig verändern.

Die Entwicklung hin zum Business 4.0 hat daher auch weitreichende Folgen für die Franchisesysteme. Es geht für die Systeme um nicht weniger als um die Erhaltung der Geschäftsfähigkeit im digitalen Zeitalter und die Erfüllung aller individuellen Kundenwünsche.

Mit der Digitalisierung gehen Innovationen bei den Produkten und Dienstleistungen einher. Dabei kann man drei Arten der Innovationen unterscheiden:

  • Verbesserungs-Innovationen: Die alten Produkte und Dienstleistungen werden durch neuere ersetzt.
  • Prozess-Innovationen: Die alten Produkte und Dienstleistungen können zu geringeren Preisen angeboten werden.

Bei diesen beiden Innovationsarten spricht man von inkrementellen Änderungen des Geschäftsmodells.

  • Disruptive Innovationen des Geschäftsmodells: Dabei handelt es sich um die Transformation bestehender (komplexer oder teurer) Lösungen so radikal, dass ein ganz neuer Markt und damit eine neue Klasse von Kunden entstehen.

Die Digitalisierung, bereits in vollen Gange, bringt zahlreiche disruptive Innovationen mit sich. Warum? Weil sie die Art und Weise ändert, wie Unternehmen Geschäfte machen. Nicht mehr lineare Wertschöpfung dominiert das Geschehen, sondern dynamisches und interaktives Schaffen von Kundennutzen. Die Digitalisierung wird dabei auch bei den Franchisesystemen mittelfristig keinen Stein auf dem anderen lassen.

Aber auch beim Business 4.0 gilt immer noch: Die Prozesse folgen der Strategie und die IT folgt den Prozessen – nicht andersherum.

Der Wandel hin zu (elektronisch gestützten) Prozessen bedarf also, logischerweise, zunächst einer Prozess-Organisation. Früher wurde diese auch Ablauf-Organisation genannt. Dieser Begriff stammt aus der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre und ist auch eng mit der Aufbau-Organisation verbunden. Inzwischen hat sich die Auseinandersetzung mit Prozess-Organisation als selbstständiger Zweig der Unternehmensorganisation entwickelt: das Business Process Management (BPM).

Digitalisierung bedeutet vor allem die Einführung automatisierter Prozesse. Alle Prozesse erfordern eine genaue Festlegung des Workflows also der Abfolge der einzelnen Arbeitsschritte zur Herstellung der Produkte und der Erbringung der Dienstleistungen. Im Gegensatz dazu haben die Prozessanwender in nichtautomatisierten Prozessen die Möglichkeit, bei unvorhersehbaren Ereignissen Korrekturen am Workflow, also in der der Durchführung der einzelnen Arbeitsschritte, vorzunehmen.

Zwei Beispiele für nicht automatisierte Prozesse:

  • In der Systemgastronomie kann/muss der Mitarbeiter bei der Zubereitung der Speisen Korrekturen im Workflow vornehmen, wenn die Ausgangsprodukte Abweichungen von Vorgaben aufweisen.
  • In den Verkaufsgesprächen in Ladengeschäften bzw. Shops aller Art muss der Verkäufer immer wieder auf die Wünsche des Kunden neu eingehen. Ein bis ins Detail festgelegter Workflow wäre eher hinderlich. Es können also nur allgemeine Verhaltensregeln für ein Verkaufsgespräch vorgegeben werden.

Bei automatisierten Prozessen ist ein Eingreifen in den Workflow nicht mehr möglich. Hier muss jeder Schritt vorab exakt in der Software festgelegt werden.

Auch hierzu zwei Beispiele:

  • Ein Einkauf über einen Webshop erfordert einen bis ins letzte Detail durchdachten und programmierten Workflow. Nur dann wird der Einkauf für den Kunden ein Erfolgserlebnis.
  • Gleiches gilt für den Abschluss einer Kfz-Versicherung über das Internet. Auch hier ist der Workflow bis in die letzte Kleinigkeit zu klären und dann in der Software abzubilden.

Zwischen diesen Extremen gibt es auch teil­automatisierte Prozesse. Die treten u.a. bei Warenwirtschafts- und Kassensystemen auf. Hier müssen immer wieder Eingaben von Hand gemacht werden. Auch bei Systemen zum Personalmanagement tritt die Eingabe per Hand immer wieder auf.

Welche Situation überwiegt derzeit im Franchising?

Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass im Franchising immer noch funktions-orientierte Organisationsstrukturen  vorherrschend sind. Nur wenige Franchisesysteme arbeiten sowohl in der Franchisezentrale als auch in den Franchisebetrieben konsequent prozessorientiert.

Wollen funktionsorientierte Franchisesysteme in die Digitalisierung einsteigen, erfordert das zuerst eine fundamentale Änderung der Organisation des Unternehmens – ein komplexes Unterfangen. Sowohl in der Franchisezentrale als auch in den Franchisebetrieben ist eine prozess­orientierte Organisation aufzubauen und einzuführen. Dies ist eine Aufgabe, mit der viele Systemzentralen im Geschäftsalltag überfordert sind. Daher bietet es sich an, an dieser Stelle auch auf externes Know-how zurückzu­greifen.

Denn ein Nebeneinander von funktionsorientierter und prozessorientierter Organisation verbietet sich schlichtweg. In einer prozessorientierten Organisation treten immer dann Probleme auf, wenn die Schnittstellen zwischen den einzelnen Prozessen nicht geklärt sind. Es ist klar zu regeln wo der Prozess beginnt, wo er endet und wie es im ggf. nächsten Prozess weiter geht. Und das für jeden einzelnen Geschäftsprozess.

Daher gilt:

Ohne Prozessmanagement ist eine Digitalisierung nicht möglich. Sicher ist aber auch, dass es in allen Franchisesystemen bei allen Digitalisierungs-Bemühungen neben den automatisierten Prozessen auch weiterhin nichtautomatisierte Prozesse geben wird. Denn der Grad der Digitalisierung ist stark abhängig von der Art des Franchisesystems. In einem Handelssystem ist der Grad sicher anders als in einem Dienstleistungssystem und sicher noch anders in der Systemgastronomie.

Eine wichtige Voraussetzung für die Digitalisierung ist der Umgang mit den im Franchisesystem gewonnenen Daten. Und zwar vor allem die Daten über die Kunden. Meistens sind diese Daten aber in schon vorhandenen Systemen wie E-Mail-, CRM-, ERP-Systemen, Social Media, Marktforschung, Google Maps etc. verstreut.

Diese Daten werden aber vor allem wegen dieser Streuung nicht effektiv genutzt. Eine effektive Nutzung dieser Daten ist aber elementarer Bestandteil einer zukunfts­sicheren Führung des Franchisesystems im Rahmen der Digitalisierung.

Welche Bedeutung haben diese Daten für das Franchisesystem?

Damit die Daten (künftig) systematisch gewonnen und ausgewertet werden können, ist eine genaue Strukturierung der Daten notwendig, wofür natürlich zunächst ein Struktur-Schema erarbeitet werden muss. Denn den Daten kommt bei der Digitalisierung von Geschäftsprozessen eine entscheidende Bedeutung zu. Nur durch Strukturierung kann aus Daten eine Information werden und die Information zu Wissen.

Diese Kette zeigt die Bedeutung der Daten im Rahmen der digitalen Transformation:

  • Daten: Sie entstehen (vor allem) in den automatisierten Prozessen.
  • Informationen: Sie entstehen durch die Analyse der Daten der Prozesse.
  • Wissen: Es entsteht durch die Auswertung der Informationen. Aus Wissen entsteht wiederum Macht bzw. Weisheit. Das ist von großer Bedeutung für die künftige Entwicklung der Franchisesysteme.

Die Digitalisierung bedeutet also für viele Franchisesysteme große Veränderungen. Aber durch diese Veränderungen gehen auch viele Chancen mit ihr einher. Eine Anregung an Franchisesysteme: Disrupt yourself! Fast in allen Geschäftsfeldern lauern Dritte bzw. Branchenfremde mit anderen, besseren Lösungen, als sie im Franchisesystem bereits vorliegen.

Prozesse ermöglichen das Wissensmanagement

Wissensmanagement ist ohne Prozess­management ebenfalls nicht wirklich möglich. Das explizite Wissen jedes Unternehmens steckt in seinen Prozessen. Das Identifizieren, Modellieren und Dokumentieren der Prozesse schafft Transparenz und deckt die Schwachstellen im Franchisesystem (in der Franchise-Zentrale und den Franchisebetrieben) schonungslos auf. Alle Prozesse werden dann zu einem Managementsystem zusammengefasst. Dieses enthält somit das Know-how des Franchisesystems zur Herstellung der Produkte und Erbringung der Dienstleistungen.

Aber auch das Innovationsmanagement steht in enger Verbindung zum Prozessmanagement. Der Franchisegeber muss im Rahmen des Prozessmanagements alle Prozesse identifizieren, modellieren und dokumentieren, die alle Informationsquellen über Veränderungen am Markt, Trends etc. systematisch auswerten. Anhand der so gewonnenen Informationen kann das Franchisesystem sehr gut erkennen ob seine Produkte und Dienstleistungen noch marktkonform sind. Zu den Informationsquellen gehören aber auch alle Daten über die Kunden des Franchisesystems. Aus den Auswertungen der Kundendaten lassen sich gute Rückschlüsse auf die Einschätzung der Produkte und Dienstleistungen durch die Kunden ziehen. Hier haben die Franchisenehmer eine wichtige Aufgabe. In klaren Prozessen im Franchisehandbuch ist festzulegen, welche Mitwirkungspflichten die Franchisenehmer bei der Marktbeobachtung und Wettbewerbsanalyse an den jeweiligen regionalen Standorten haben.

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