Wie Hol'Ab! Die Bier-Revolution meistert

igenda FACHMAGAZIN
[PDF Download, 1.87 MB]
Craft-Bier bei Hol'Ab

 

Schöne neue Vielfalt!

Der Trend ist unverkennbar: Immer mehr kleine Bier-Brauereien werden in jeder größeren Stadt gegründet. Anders als die etablierten Bierhersteller setzen die kleinen
Produzenten häufig auf individuelle Geschmacksnuancen und spezielle Biertypen. Die folge: Eine wahnsinnige Vielfalt im Bierangebot. Wie gehen Getränkehändler mit
dieser veränderten Situation um? Wir haben mit Detlef Tillwick, Geschäftsleiter Franchise beim Getränkehändler Hol‘Ab!, über die Entwicklung gesprochen.

igenda: Hallo Herr Tillwick. Schön, dass Sie Zeit für uns haben. Bei der letzten igenda/F&C-Analyse der Partnerzufriedenheit bei Hol‘Ab! haben ihre Franchisenehmer und Marktleiter Ihnen ein gutes Händchen bei der Sortimentsentwicklung bescheinigt. Wenn man sich aber zum Beispiel den gegenwärtigen Trend zu Craft-Bieren anschaut, ist das ja eine doch erhebliche Aufgabe. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Tillwick: (lacht) Ich muss Sie enttäuschen, aber das eine Erfolgsgeheimnis gibt es da sicher nicht. Sortimentsentwicklung ist eine strategische Aufgabe, die kontinuierlich gemanaged werden muss. Auch der Fall Craft Beer ist ja in einen größeren Veränderungsprozess des Marktes eingebunden.

igenda: Weihen Sie uns ein.

Tillwick: Es ist nicht so, dass die jungen Leute erst im letzten Sommer ihr Trinkverhalten bezüglich des Bieres verändert haben. Wenn wir mal um zehn Jahre zurückschauen, dann finden wir einen Biermarkt, auf dem es noch keine Biermischgetränke oder eine Vielfalt an Spezialitäten gab. Es war 2006 als AB InBev zu ersten Mal Mischgetränke wie „Green Lemon“, „Level Seven“ usw. auf den Markt brachte. Von da aus begann dann eine Verbreitung im Markt. Das nächste waren dann andere Sorten eines Bieres, wie „Beck‘s Gold“.

igenda: Und warum hat AB InBev das damals gemacht?

Tillwick: Aus einer Änderung des Marktes. Bei der Analyse des Kaufverhaltens hat man festgestellt, dass jüngere Menschen immer weniger klassisches Bier getrunken haben. Diese Gruppe neigte dazu, eher andere Mischgetränke zu sich zunehmen. Man denke noch an den populären Begriff „Alcopops“, der die damals so beliebten
Mischgetränke auf Branntweinbasis bezeichnet. Das heißt aber zugleicht, dass die Menschen zwar generell getrunken haben, aber Bier war nicht trendy genug. Das war ein Problem für die Brauereien.

igenda: Wie haben die Brauereien reagiert?

Tillwick: Mit der Einführung der eben genannten Variationen. Auf AB InBev folgten dann mit Krombacher über Veltins eigentlich alle großen Brauereien. Im Jahr 2008 erfolgte am Biermarkt ein weiterer Einschnitt, als durch das Kartellgesetz die Preisbindung der zweiten Hand fiel. Jetzt war es den Brauereien nicht mehr möglich, dem
Produkt eine Preisempfehlung für den Verkauf mitzugeben und den Händler zur Einhaltung einer Preisuntergrenze aufzufordern.

Die Preisbindung fällt, der Markt ändert sich

igenda: Wie machte sich das auf dem Biermarkt bemerkbar?

Tillwick: Der einsetzende Preiswettbewerb führte dazu, dass bis 2011 ein massiver Verfall der Verkaufspreise für Bier zu beobachten war. Wenn vor 2008 ein Kasten Bier noch für einen Durchschnittspreis von 10,50 Euro gehandelt wurde, kostete die Durchschnittskiste Bier 2011 nur noch 8 Euro. Das kam auch daher, dass der Aktionsanteil, also der Teil an Bier, der zu Sonderangebotspreisen verkauft wurde, auf fast 70 Prozent gestiegen ist. Auch die Discounter und Lebensmitteländler erkannten Bier als Frequenzbringer und unterboten sich mit Sonderangeboten. Das war dem Lebensmittelhandel egal, aber im Getränkehandel machte Bier die
Hälfte des Umsatzes aus.

igenda: Weniger Bierverkauf, dazu noch Preisverfall – das hört sich nach keiner guten Situation für die Branche an…

Tillwick: War es auch nicht. Wir erkannten das zusammen mit den Franchisepartnern so etwa im Jahr 2011. Glücklicherweise haben wir im System immer etwas Spielraum für Weiterentwicklungen.

igenda: Welchen Spielraum meinen Sie? Und wie hilft Ihnen der in einer solchen Krise?

Tillwick: Das Sortiment bei Hol’Ab gliedert sich grundsätzlich in drei Bausteine. Es gibt das Kernsortiment, das jeder Hol’Ab-Markt führen muss, in Abhängigkeit von seiner Größe. Dann gibt es das Zusatzsortiment oder auch Saisonartikel. Das sind Dinge, die man temporär führt, wie Maibock, Weihnachtsbier et cetera. Und dann
kommen wir zum in diesem Bereich wichtigen Bestandteil, dem Diversifikationssortiment. Franchiseverträge lassen es grundsätzlich nicht zu, dass das ganze Sortiment vorgeschrieben wird. Es muss immer Freiraum für Franchisenehmer in der Sortimentsgestaltung geben. So darf bei uns 20 Prozent des Umsatzes mit individuellem Sortiment gemacht werden

igenda: Und wie nutzen Sie diesen Freiraum für die systematische Sortimentsentwicklung?

Tillwick: Wir haben ja viele Branchenfremde als Franchisenehmer. Der eine war im Kaufhausbereich tätig, der andere war Jurist. Bei über 60 Franchisepartnern ist alles kreuz und quer dabei. Das heißt, natürlich empfehlen wir allen Partnern, wenn Sie eine neue Sortimentsidee entwickeln wollen, sich nochmal mit uns abzustimmen.
Denn vielleicht haben wir ja in diesem Bereich schon Erfahrungen gemacht. Und dieses Angebot wird auch genutzt.

Erfolg des Extra-Sortimentes wird genau verfolgt

igenda: Wie verfolgen Sie dann den Markterfolg des Extra-Sortimentes?

Tillwick: Unser Kassensystem bietet die Möglichkeit, dass ein Partner die Produkte des Diversifikationssortimentes im System anlegt. Das hat zum einen den Vorteil, dass der Partner sich immer in der Welt eines Systemes bewegen kann. Zum anderen, können wir dadurch fast in Echtzeit den Erfolg eines Teilsortiments messen. Wir
schauen genau hin, wie sich der Absatz entwickelt. Ist es ein Flop, verschwindet das Produkt wieder. Ist es aber ein Erfolg, bemerken wir das und schauen, ob das Produkt in das Kernsortiment für alle Märkte aufgenommen werden könnte.

igenda: Das ist ja wie ein laufender Produkttest durch die Kreativität Ihrer Partner.

Tillwick: Genau. Man hat immer direkt eine Art von Marktforschung. Wenn ein Produkt ein Erfolg ist, dann können wir auch direkt in die Verhandlung mit dem Hersteller oder Lieferanten treten und allen Partnern ein besseres Sortiment ermöglichen. Natürlich überzeugen wir uns, ehe ein Artikel ins Kernsortiment aufgenommen wird,
dass ein Produkt auch an anderen Standorten funktionieren kann. Wenn dann ein Produkt ins Kernsortiment wechselt, entsteht beim Partner natürlich neuer Freiraum für dessen Experimente.

igenda: Und wie ist dieser Prozess beim Bier vor sich gegangen?

Tillwick: Uns war natürlich klar, dass der Rückgang des Bierkonsums bei zugleich schrumpfenden Margen ein Problem für uns werden könnte. Also mussten wir dafür sorgen, dass die Kunden teurer trinken. Und wir müssen zusehen, dass wir neue Zielgruppen erreichen.

igenda: Wo haben Sie da konkret angesetzt?

Tillwick: Zunächst haben wir zusammen mit den Franchisenehmern den Bereich „Internationale Bierspezialitäten“ entwickelt. Danach kamen Weißbierspezialitäten. Denn obwohl unsere Märkte eher nördlich liegen, sind wir über unser Sourcing auch im süddeutschen Raum gut vernetzt und können viele Spezialitäten frisch
über Nacht herbeischaffen. Diese Bereiche entwickelten sich gut und die erfolgreichen Produkte erweiterten das Stammsortiment.

igenda: Und wie entwickelte sich das Craft-Bier-Sortiment?

Tillwick: Der beschriebene Prozess fand so etwa zwischen 2011 und 2014 statt. Erst ab 2015 tauchte dann der Begriff „Craft-Bier“ auf. Vorher gab es das gar nicht, da gab es höchstens „Spezialitäten“. Craft-Biere sind ja Produkte, die zumeist von sehr kleinen, unabhängigen Brauern gemacht werden. Das sind Idealisten, die besondere
Biere machen wollen und denen das ominöse Reinheitsgebot auch nicht so wichtig ist. Im Rahmen des Trends zum Selbermachen und zu individuellen Produkten entstand dann eine riesige bunte Szene. Und da wir ja aus den genannten Gründen auf eine Weiterentwicklung des Biersortimentes angewiesen sind, ist dieses natürlich eine willkommene Entwicklung.

igenda: Wie haben Sie denn diese bunte Vielfalt in Ihr System integriert? So individuelle Produkte zu verkaufen ist ja etwas anderes, als standardisierte Massenware zu vertreiben...

Tillwick: Das haben wir zusammen mit unseren Partnern überlegt. Die Frage war für uns, wie wir das komplexe Sortiment dem Verbraucher deutlich machen können, ohne ihn oder uns zu überfordern. Es gibt ja nicht nur sehr viele kleine Craft-Bier-Hersteller, sondern auch noch über 35 verschiedene Bier-Stiele. Von „India Pale Ale“ über „Red Ale“, „Stout“ oder „Trappisten-Bier“, da ist eine wahnsinnige Vielfalt dabei. Und damit hat sich die gesamte Trinksituation für Bier geändert. Craft-Bier ist nicht zum Runterschütten gemacht, das ist eher ein Genuss-Bier. Und so muss die Präsentation auch eine andere sein.

igenda: Worin äußert sich das?

Tillwick: Einer der ersten, der das in Deutschland beachtet hat, war Jeff Maisel mit der Bier-Serie „Maisel’s and Friends“. Diese Biere werden in Flaschen verkauft, die von der Gestaltung eher an Wein als an Bier erinnern. Und zeigt eigentlich das, was den Gedanken hinter Craft-Bieren von den anderen Bieren unterscheidet: Craft-Biere werden genossen wie ein guter Wein. Damit wird natürlich auch eine andere Wertschöpfung möglich.

igenda: Das ist ja schon eine große Änderung der Art des Verkaufens. Kommen denn derart große Veränderungsansätze von den Partnern, oder kommen Impulse zu einer solchen Transformation nicht auch von Lieferanten und der Zentrale?

Tillwick: Natürlich würde ich lügen, wenn ich behauptete, die Partner hätten das ganz allein entwickelt. Aber wie in jeder guten Ehe entsteht Weiterentwicklung nur in gutem Zusammenspiel. Systemzentrale und Partner haben da Hand in Hand und zielgerichtet an einer Verbesserung der Rentabilität des Biersortimentes gearbeitet.
Aber es war tatsächlich ein Partner, der mehrere Märkte betreibt, der zuerst gesagt hat: Ist setze jetzt auch auf internationale Spezialitäten. Wir haben das dann gemeinsam als System weiterentwickelt.

Änderung der Präsentation im Markt

igenda: Das hört sich ja alles tatsächlich ganz einfach an. Aber im Gegensatz zum Verkauf von bekannten Standard-Biersorten ist ja der Verkauf von Spezialitäten auch ganz anders in Bezug auf den Informationsbedarf des Käufers. „Kiste hinstellen die Kunden kaufen lassen“ – funktioniert das noch?

Tillwick: Wir haben ja eine heterogene Partnerstruktur und auch unterschiedlichstes Personal in den Märkten. Darum haben wir das zu einer Zentral-Aufgabe in der Kommunikation gemacht. Wenn Sie unsere Zeitungsbeilage ansehen, die 34 Mal im Jahr erscheint, dann findet sich in jedem dieser Prospekte Informationen zu Bierspezialitäten. Wir haben die Seite zwei zur Craft-Bier-Seite erklärt. Da stellen wir regelmäßig Craft-Biere dar. Gemeinsam mit Bier-Sommeliers haben wir Beschreibungen der verschiedenen Biere erarbeitet. So weiß der Kunde dann, was er bei IPAs, Stouts, Brown Ales usw. zu erwarten hat. Weiterhin haben wir Dirk Omlor, den Chefredakteur des „Craft“-Fachmagazins dafür gewinnen können, in jedem der Prospekte die Besonderheiten eines Bier-Typs als Experte vorzustellen.

igenda: Und wie stellt sich der Verkauf dieser Spezialitäten im Geschäft dar? Welche Maßnahmen haben Sie da ergriffen?

Tillwick: Zur Orientierung im Craft-Bier-Sortiment haben wir alle Preisschilder mit Piktogrammen zur Information über die Biersorte und einer Nummerierung versehen. Dazu haben wir über den Regalen noch Crowner installiert, die dann die Nummerierung aufgreifen und Informationen über den Biertyp geben. In den Prospekten bekommt der Kunde dann diese Typen erklärt. Das wir alle Partner inklusive deren Mitarbeiter so intensiv schulen, dass immer ein Fachgespräch über jede Biersorte möglich ist, das wäre nicht leistbar gewesen. Wir sind ein frequenzstarker Markt und keine Boutique mit vereinzelten Kunden. Darum übernehmen wir als Zentrale einen
möglichst großen Anteil an der Information des Kunden.

igenda: War es denn ein Problem, diese andere Art des Bierverkaufes und der Warenpräsentation Ihren Partnern schmackhaft zu machen?

Tillwick: Eigentlich nicht. Wir haben die Dinge ja gemeinsam mit den Partnern entwickelt. Zudem haben wir alle Neuerungen zunächst in eigenen Märkten getestet, konnten also auch mit nachweisbarem Erfolg überzeugen. So testen wir alle Ideen aus, auch Ideen, die von Partnern entwickelt wurden. Wenn dann Blödsinn dabei ist, hat das unser Geld gekostet, und nicht das des Partners. Denn natürlich ist der finanzielle Aspekt bei der Weiterentwicklung eines Systems immer wichtig. Wir konnten mit dieser Sortimentsentwicklung einen Ausweg aus der eingangs beschriebenen problematischen Marktsituation finden. Das freut die Partner, das freut uns. Und das freut den Kunden.

igenda: Herr Tillwick, vielen Dank für das Gespräch.